KSL

Katholische Sozialakademie Österreichs
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DIE KATHOLISCHE SOZIALLEHRE IN KÜRZE

Die Katholische Soziallehre ist die AUS DEM KATHOLISCHEN GLAUBEN ABGELEITETE oder mit diesem zumindest NICHT IN WIDERSPRUCH STEHENDE, IN DOKUMENTEN des kirchlichen Lehramtes ANLASSORIENTIERT NIEDERGELEGTE, in katholischen „Denkschulen“ bzw. von bedeutenden katholischen AutorInnen vertretene LEHRE VOM SOZIALEN im weitesten Wortsinn.
(nach Oswald v. Nell-Breuning)

Die Soziallehre der Kirche ist einem Kompass vergleichbar, der die Richtung weist, wie gutes Zusammenleben von Menschen in einer Gruppe, in einer Gesellschaft, in der gesamten Menschheitsfamilie gelingen kann. Sie zeigt auf, an welchen Haltungen und Werten sich eine Gesellschaft orientieren soll. In der allmählichen Entwicklung der kirchlichen Sozialverkündigung haben sich dazu grundlegende Prinzipien – vergleichbar den Haupthimmelsrichtungen einer Windrose – herauskristallisiert.

PERSONALITÄT

„Wurzelgrund […], Träger und Ziel aller gesellschaftlichen Institutionen ist und muss auch sein die menschliche Person.“ [Vat. II, Gaudium et spes, Art. 25] – Das ist der zentrale Ausgangspunkt der Katholischen Soziallehre (KSL). Eine Gesellschaft ist nur dann wahrhaft human, wenn sie dieses Prinzip wiederspiegelt.

Die Personenwürde eines Menschen ist unteilbar und kann nicht verdient, verhandelt oder verkauft werden; sie kommt jedem Menschen bedingungslos zu – ohne Vorleistung und ohne Blick auf geschlechtliche, religiöse, soziale, ethnische oder kulturelle Zuschreibungen. Das ist das zentrale Prinzip der KSL und das normative Zentrum, aus dem sich alle anderen Prinzipien ableiten. Der Mensch ist in seiner Würde als Person unbedingt zu achten, zu schützen und zu fördern. In der KSL hat die Person deshalb immer Vorrang vor der Sache, die menschliche Arbeit vor dem Kapital, die menschliche Würde vor ökonomischen Parametern. Die KSL erinnert daran, dass der Mensch immer im Mittelpunkt von Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Kirche und Zivilgesellschaft zu stehen hat.

Soziale Verhältnisse werden in der KSL also daran gemessen, inwieweit sie die Würde des Menschen als Person schützen und sein verantwortliches Tun in Freiheit ermöglichen, um sich als Einzelperson in Gemeinschaft zu entfalten. Dabei geht es nicht nur darum, das bloße Überleben von Menschen zu sichern, sondern die sozialen Bedingungen so zu gestalten, dass alle Menschen ihre Personalität frei entfalten können, insbesondere jene, die aufgrund persönlicher bzw. sozialer Beeinträchtigungen und Notlagen dazu nicht aus eigener Kraft imstande sind.

GEMEINWOHL

„Das Gemeinwohl ist das größte Glück aller Einzelnen in Gegenwart und Zukunft mit vorrangiger
Beachtung vitaler Grundbedürfnisse für alle.“
– In Anlehnung an den üblichen Sprachgebrauch bedeutet Gemeinwohl „das Wohl eines das Individuum übersteigenden, übergreifenden und umfassenden Gemeinwesens“.

In der KSL genießt der einzelne Mensch als Person zwar eine prinzipielle Vorrangstellung vor jeder Form von Gemeinwesen (siehe oben!). Dennoch folgt daraus nicht ein auf allen Ebenen geltender Vorrang des Wohls des Einzelnen vor dem Wohl der Gemeinschaft, weil als Orientierungsmaßstab nicht das Wohl eines Einzelnen Geltung beanspruchen kann, sondern immer nur das Wohl aller Einzelnen als prinzipiell gleichwertige Personen.

In einer ganzheitlichen Betrachtung kann es letztlich gar keinen Widerspruch zwischen Einzelwohl
und recht verstandenem Gemeinwohl geben, weil das Wohl eines Einzelnen (als immer auch sozialem Wesen) letztlich im Wohl aller Einzelnen, also im Gemeinwohl, aufgehoben ist: Das Wohl eines
Einzelnen im Konflikt mit dem Wohl aller übrigen Einzelnen könnte letztlich gar keinen Bestand haben, d.h. es gibt letztlich kein Einzelwohl ohne seine Einbettung in ein Gemeinwohl. Aus diesen Bestimmungen leitet sich in der KSL der Grundsatz ab, dass das Gemeinwohl als „allseits verwirklichte Gerechtigkeit“ (Joh. Messner) Vorrang hat vor dem unmittelbaren Wohl eines Einzelnen.

SOLIDARITÄT

Alle Menschen leben auf demselben begrenzten Planeten Erde. Deshalb sind alle voneinander abhängig – und füreinander verantwortlich. Volkstümlich kann das Solidaritätsprinzip deshalb begründet werden mit dem Argument „Wir sitzen alle im selben Boot (wenngleich leider nicht alle gleich gute Plätze haben).“ – und umschrieben mit der Formel „EineR für alle – alle für eineN!“

Solidarität im Sinne der KSL ist immer universal zu verstehen, wenngleich man von konzentrischen Kreisen der Solidarität sprechen kann in dem Sinn, dass Solidarität etwa mit der eigenen Familie naturgemäß näher liegt als die Solidarität mit Unbekannten. Dennoch darf sich Solidarität niemals nur auf eine bestimmte Gruppe beschränken, weil sie sonst ihre spezifische Qualität verliert und zum Gruppenegoismus verkommt. Pp. Franziskus weitet in „Laudato sí“ (2015) den Solidaritätsbegriff dagegen überhaupt auf die gesamte Mitwelt aus: Da „alles miteinander verbunden“ ist (LS, Art. 91) und alle Geschöpfe Gottes sind, bezieht sich die solidarische Verantwortung der Menschen auf alles Leben des Planeten Erde.

Solidarität im Sinne der KSL überschreitet also die Grenzen des „Eigenen“ auf „Andere“ und „Fremde“ hin. Sich solidarisieren heißt, sich bewusst in die Lage anderer, Fremder zu versetzen – „ein Stück Weges in deren Mokassins zu gehen“ – und sich auch für sie einzusetzen. Dabei meint Solidarität zunächst gar keine moralische Haltung, sondern ursprünglich schlichtweg eine Seins-Tatsache: Es gibt in dieser Welt gar kein gutes menschliches Zusammenleben ohne Solidarität.

SUBSIDIARITÄT

Als Strukturprinzip regelt Subsidiarität die Zuständigkeiten innerhalb einer Gesellschaft bzw. das Zusammenspiel verschiedenrangiger sozialer Einheiten bzw. Gemeinwesen. Das Subsidiaritätsprinzip hat in der KSL stets eine doppelte Dimension:

Positiv besagt es, dass übergeordnete bzw. größere soziale Einheiten/Gemeinwesen die eigenverantwortliche Handlungs-, Gestaltungs- und Partizipationsfähigkeit der Personen bzw. kleineren sozialen Einheiten/Gemeinwesen zum Ziel haben und diese fördern müssen. („Hilfestellungsprinzip“)

Negativ besagt es, dass übergeordnete bzw. größere soziale Einheiten/Gemeinwesen sich auf jene Aufgaben (als die je eigenen Pflichten) zu beschränken haben, welche die Möglichkeiten und sozialen Problemlösungskapazitäten der Personen bzw. kleineren sozialen Einheiten/Gemeinwesen übersteigen. („Nichteinmischungsprinzip“)

Neben diesen 4 Haupthimmelsrichtungen gibt es einerseits noch 2 fundamentale Grundsätze der kirchlichen Sozialverkündigung (vergleichbar dem Gehäuse eines Kompasses):
a) Die Güter dieser Erde sind prinzipiell für alle Menschen bestimmt. (D.h. es gibt kein Recht auf Privateigentum, sofern dieses die Grundansprüche aller Menschen behindert oder verunmöglicht.)
b) Es gibt auf Dauer kein gutes, zivilisiertes (Zusammen-)Leben ohne Gerechtigkeit. Diese wird letztlich aber nicht als bloße Verteilungsgerechtigkeit (allen dasselbe), Tausch- oder Leistungsgerechtigkeit verstanden, sondern als Leistungsfähigkeitsgerechtigkeit (stärkeren Schultern kann auch mehr abverlangt und zugemutet werden als schwachen).
Andererseits haben sich in der KSL der jüngeren Zeit Ableitungen aus den 4 Grundprinzipien (vergleichbar den Nebenhimmelsrichtungen) entwickelt: z.B. Option für die Armen (als methodisches Prinzip und Maßstab für Gerechtigkeit), Nachhaltigkeit (im Sinne von Gerechtigkeit nachkommenden Generationen gegenüber), Dialog (als Respekt und Methode gegenüber anderen Überzeugungen) und gesellschaftliche Teilhabe (als demokratisches Grundprinzip und -ziel).

Dr. Markus SCHLAGNITWEIT, Direktor der Kath. Sozialakademie Österreichs – ksœ

Weiterführende Literatur
Markus SCHLAGNITWEIT: Einführung in die Katholische Soziallehre. Kompass für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, Freiburg im Breisgau (Herder) 2021, ISBN: 978-3-451-38969-6


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